Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche sind die Zukunftsträger einer jeden Gesellschaft. Ihr Stellenwert innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse wird jedoch oftmals verkannt oder nicht ausreichend wahrgenommen. Eine auf die Erwachsenenwelt zentrierte Politik wird der tatsächlichen Bedeutung von Kindern und Jugendlichen nur selten gerecht.
Wie für die gesamte Bundesrepublik, so gilt auch für Hessen, dass die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund - bei allgemein sinkenden Geburtenzahlen - tendenziell zunimmt. Mittlerweile entstammen gut ein Drittel der in Hessen lebenden unter 12-jährigen Kinder aus Zuwandererfamilien oder binationalen Ehen und Partnerschaften. Dies muss eine an der Lebenswirklichkeit orientierte Kinder- und Familienpolitik beachten. Hieraus erwachsen besondere Herausforderungen, die zukünftig einer noch viel stärkeren Hinwendung bedürfen. Nur so lassen sich Fehlentwicklungen schon frühzeitig vermeiden, die ansonsten zu einem späteren Zeitpunkt „ressourcenintensiv" behoben werden müssten.
Eine dieser Herausforderungen ist die Frage nach dem Rahmen, der vorhanden sein muss, damit alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen und unabhängig von Herkunft und Status ihre individuellen Entwicklungsmöglichkeiten wahrnehmen können – ohne Gefahr laufen zu müssen, (schon frühzeitig) ausgegrenzt und benachteiligt zu werden.
Wir wollen deshalb:
- eine Kinder- und Jugendpolitik, die soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zur Leitmaxime erklärt und sich nicht auf das Bekämpfen von Symptomen beschränkt. Die zukünftige Politik muss Schluss machen mit der Trias aus mangelnder individueller Förderung, frühzeitiger Auslese und sozialer Ausgrenzung. Dies hat in der Vergangenheit ausschließlich dazu geführt, dass (gesellschaftliche) Ungleichheiten entstanden, fortbestanden oder aber weiter zunahmen
- eine ganzheitliche Betrachtung der Kinder- und Jugendpolitik und eine enge Verzahnung mit anderen Politikbereichen (z.B. Schul- und Bildungspolitik, Arbeitsmarktpolitik, etc.). Dies würde einerseits dem natürlichen, altersbedingten Entwicklungsprozess der Kinder und Jugendlichen entsprechen und andererseits eine Politik „aus einem Guss" ermöglichen
- eine Verbesserung der beruflichen Bildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Hierzu bedarf es einer gezielten und landesweiten Bildungsoffensive. Dort, wo Land und Kommunen als Arbeitgeber fungieren, gehen sie mit guten Beispiel voran und erhöhen signifikant den Anteil von Auszubildenden und Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund
- eine verstärkte Landesförderung der interkulturellen Jugendbildungs und Kulturarbeit. Sie ist ein probates Mittel zur Entwicklung undFortführung des Dialogs zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. So lässt sich fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Tendenzen schon frühzeitig entgegenwirken
- eine stärkere Verpflichtung des Landes, seiner Verantwortung im Bereich der Jugendbildung und der Jugendarbeit nachzukommen. Dies bedingt auch eine Ausweitung der Aufwendungen für die kommunale Jugendarbeit. Investitionen in die Infrastruktur (Jugendhäuser, Jugendzentren, etc.) und in qualifiziertes Personal (z.B. Sozialarbeiter, Jugendbetreuer, etc. - auch mit Migrationshintergrund) sind unabdingbar. Der Verkauf der landeseigenen Jugendbildungseinrichtungen (Zierenberg/Dörnberg und Dietzenbach) sind rückgängig zu machen
- den weiteren Ausbau der Kompetenzen des Landesjugendhilfe-Ausschusses. Ferner ist darauf zu achten, dass die Landespolitik dem Gremium Landesjugendhilfeausschuss stärkere Beachtung schenkt und den Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses nachkommt. Die Organisationsstruktur und die Befugnisse des Jugendhilfeausschusses sollten einer kritischen Überprüfung unterzogen werden, damit das Gremium nicht Gefahr läuft, zum „zahnlosen Tiger" zu werden
- die Anerkennung der Selbst-Organisationen der Menschen mit Migrationshintergrund als Träger der Jugendhilfe, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
Kindertageseinrichtungen
Den Kindertageseinrichtungen fällt als vorschulischem Betreuungs- und Lernort eine zentrale Funktion im Integrationsprozess zu. Ausgehend von der Annahme, dass Bildung (im umfassendsten Sinne) der entscheidende Schlüssel zur sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration ist, bilden Kindertageseinrichtungen die erste Stufe und den Einstieg in ein vielschichtiges System der individuellen Qualifizierung und Entwicklung. Kindertageseinrichtungen sind jedoch gleichermaßen Orte, an denen die Kinder erstmals „Anderssein" und damit kulturelle Vielfalt erleben. Hierin liegen besondere Chancen hinsichtlich des weiteren, späteren Zusammenlebens. Darüber hinaus werden insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund in den Kindertageseinrichtungen häufig zum ersten Mal systematisch mit der deutschen Sprache konfrontiert. Hieraus sollte ein möglichst sicherer Umgang mit der deutschen Sprache zum Zeitpunkt des Übergangs zur Grundschule resultieren. Wie in kaum einem anderen Politikfeld würden von den hier dargelegten Maßnahmen generell alle Kinder (unabhängig von ihrer Herkunft) profitieren.
Integration in Kindertageseinrichtungen sollte verbessert werden durch
- die Einführung eines Rechtsanspruchs für einen ganztägigen Platz in einer Kindertageseinrichtung
- den kostenfreien Besuch der Kindertageseinrichtungen mit finanzieller Kompensation gegenüber den Kommunen
- eine signifikante Verbesserung der räumlichen, personellen, sächlichen und finanziellen Ausstattung von Kindertageseinrichtungen und die umgehende Verwirklichung eines den erzieherischen und pädagogischen Notwendigkeiten angepassten Personalschlüssels (Relation Gruppengröße zu Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher)
- die interkulturelle Öffnung von Kindertageseinrichtungen, den verstärkten Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern mit Migrationserfahrung sowie eine auf die Verwirklichung dieser Ziele abgestimmte umfangreiche Informationskampagne
- die Entwicklung eines verbindlichen Fortbildungsangebotes für Erzieherinnen und Erzieher mit einem Pflichtmodul „Interkulturelle Kompetenz"
- die Überarbeitung bestehender Ausbildungsverordnungen bzw. Studienordnungen für Erzieherinnen und Erzieher mit dem Ziel, dass Aspekte der Integration und Interkulturalität im Curriculum verbindlich berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang muss auch eine weitere finanzielle und inhaltliche Aufwertung des Erzieherinnen- und Erzieherberufs angestrebt werden (Stichwort „Akademisierung der Ausbildung")
- die kontinuierliche und fachwissenschaftliche Begleitung des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Belange von Kindern mit Migrationshintergrund und deren Eltern sowie in Anerkennung entsprechender sozialwissenschaftlicher und pädagogischer Erkenntnisse
- die Vermeidung von diversen praktischen Schwierigkeiten (z.B. Herauslösung aus gewohnter Umgebung, fahrtechnische Probleme, Kosten, etc.) im Zusammenhang mit vorschulischen Deutschförderangeboten
- den Tendenzen einer zunehmenden, schleichenden „Verschulung" in den Kindertageseinrichtungen ist entgegenzuwirken. Vielmehr sollte die natürliche Neugierde der Kinder - stärker als bisher - angeregt und gefördert werden. Von einer „Verschulung" würden gegebenenfalls vermeintlich leistungsstärkere Kinder „profitieren". Die Kindertageseinrichtungen sollen sich jedoch als Ort zwanglosen Lernens begreifen, in denen der kindlichen Fantasie ein möglichst breiter Raum geboten wird.